Herrenlose Unternehmen

Immer häufiger ist es nicht mehr nachvollziehbar, wer in komplexen Unternehmensstrukturen tatsächlich Entscheidungen trifft und was die Basis für getroffene Entscheidungen ist. In solchen „Herrinnenlosen Unternehmen“ bzw. “Herrenlosen Unternehmen” klaffen Verantwortung und tatsächliche Entscheidungswege auseinander. Dies führt zu langfristigen Beschlüssen, die den Erhalt von Werten und die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens bedrohen. GRANTIRO erforscht, wie Führung unter diesen Rahmenbedingungen funktionieren kann.

Hintergrund

Eine der größten Erfindungen des 20. Jahrhunderts sind moderne internationale Industriekonzerne, in denen weltweiter wirtschaftlicher Fortschritt durch Arbeitsteilung, Innovation und effiziente Organisation vorangetrieben wird. Menschen haben es so geschafft, hoch-komplexe Wertschöpfung global zu organisieren. Dabei ist es zwingend erforderlich, Rollen zu trennen, die Kette der Wertschöpfung in logischen Teilaspekten zu optimieren und Entscheidungen auf vielen Ebenen zu verteilen.

Im Verlauf des fortschreitenden Wachstums internationaler Konzerne wird es für Einzelpersonen innerhalb dieser Organisationen immer schwieriger ihren Rollen gerecht zu werden. Unbemerkt von den einzelnen Akteuren selbst wird dabei die Grenze überschritten von sinnvollen hin zu Schildbürgerhaften Entscheidungen und Verhaltensweisen. Jeder Akteur ist für sich davon überzeugt, das Richtige zu tun. In ihrer Gesamtheit erzeugt die Organisation so nicht mehr das optimale Ergebnis im Sinne ihrer Gesellschafter und Stakeholder. In diesem Fall sprechen wir von dem Phänomen der „Herrinnenlosen Unternehmen“ bzw. „Herrenlosen Unternehmen“.

Innerhalb von stabilen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen werden diese Effekte durch den Erfolg und die komplexen Strukturen dieser internationalen Organisationen überlagert. Seit die Welt um uns herum von einer Phase der globalen Stabilität über Unsicherheit auf Ungewissheit schwenkt, wird die Überforderung der Systeme innerhalb internationaler Konzerne immer deutlicher.

Während diese Effekte erkennbar werden, gehen unsere Ökonomie und Volkswirtschaft gleichzeitig weiter davon aus, dass es „die Unternehmerin“ bzw. „den Unternehmer“ gibt sowie eine funktionierende Einheit aus Zielsetzung der Gesellschafter, der Führungskräfte und dem Handeln im Sinne des Marktes. Die Annahme ist weiterhin: das System ergibt einen Sinn.

Bei dem Versuch auf grundlegenden Wandel innerhalb unserer Wirtschaft und Gesellschaft angemessen zu reagieren, kommt es vor, dass dabei zwei Aspekte auseinanderklaffen: A) die formalen Strukturen, die nach geltendem Recht Entscheidungen zu treffen haben (z.B. die im Handelsregister eingetragene Geschäftsführung) und B) die Akteure, die tatsächlich über die notwendigen rechtlichen, physischen und psychologischen Ressourcen verfügen, um eine wirksame Veränderung herbeizuführen (z.B. internationale Eigentumsstrukturen).

Wenn es nicht darum geht, dass alle Beteiligten recht behalten, sondern dass das richtige Ergebnis im Sinne unserer Wirtschaft und Gesellschaft erzielt wird, ist es wichtig sich damit zu beschäftigen, wer wirklich handeln muss bzw. welche Gruppen handeln müssen.

Fragestellungen im Think&Do Tank

  • Wie kann man herausfinden welche Personen bzw. Personengruppen wirklich innerhalb von komplexen Unternehmensstrukturen Entscheidungen fällen?
  • Wie kann die Geschäftsführung Entscheidungen innerhalb einer komplexen Unternehmensstruktur nachvollziehen, bewerten und umsetzen, wenn ihr das angemessene Maß an Informationen fehlt?
  • Wie können Arbeitnehmervertretungen die Entscheidungen ihrer Unternehmen bzw. deren Berater nachvollziehen, bewerten und darauf angemessen reagieren?
  • Wie können Gesellschafter.innen sicherstellen, dass die von ihnen eingesetzte Unternehmensführung innerhalb komplexer Strukturen Entscheidungen im Sinne des Erhalts von Werten und der Zukunft ihres Unternehmens trifft?
  • Wie kann die Öffentlichkeit Entscheidungen komplexer Unternehmen nachvollziehen und im Sinne der zukunftsfähigen Volkswirtschaft unterstützen?
  • Werden Prozesse der Entscheidungsfindung in komplexen Unternehmensstrukturen in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre ausreichend abgebildet?

Die Position von GRANTIRO

  • Es ist sinnvoll, Beteiligte an und Betroffene von Unternehmensentscheidungen in die Lage zu versetzen, diese strukturiert nachvollziehen und bewerten zu können, damit sie angemessen darauf reagieren und sich einbringen können.
  • In Fällen, in denen das Maß der Information zu einer Unternehmensentscheidung nicht angemessen ist, können strukturiert alternative Entscheidungsszenarien entwickelt werden, um eine angemessene Bewertung zu ermöglichen.
  • Es ist sinnvoll, das Phänomen “Herrenlose Unternehmen” in die akademische Lehre der Volks- und Betriebswirtschaft zu verankern.